Veröffentlicht in KURZE, Anthologie, KHM Köln (Hg.), 2018
Lisa Domin
Der heilige Bernhard
Erinnerungsprotokoll
> Eins muss ich dir sagen. Du weißt ja, dass ich eine besondere Macht habe. Ich bin der heilige Bernhard. Ich stehe zwischen Gott und Teufel. Wenn mir was passiert, ist es vorbei hier mit allem. Dann geht die Welt unter.
> Ja, das hast du erzählt. Also pass auf dich auf, Bernd.
> Haha, also 90 werde ich nicht. Also in diesem Leben schaffe ich das nicht. Ich bin schon einmal 90 geworden. Das war von 1410-1500. Eins wird anders sein, Lisa. Eins mache ich anders.
> Was denn?
> Es wird zwei Planeten geben. Und dann werden alle aufgeteilt. Männer und Frauen.
> Männer und Frauen getrennt auf zwei Planeten??
> Ja, Lisa. Das ist besser. Zwei Planeten. 51% oder 49% der Menschheit darf mitkommen. Meine Familie ist wichtig. Und 7 Frauen kann ich mir aussuchen. Eventuell noch 3 extra. Extra wären Angela Merkel, meine alte Herbergsmutter und eine Frau aus meiner alten Firma, die hat mir mal das Leben gerettet.
> Und wann wird das sein? Bald schon?
> Ja Lisa, bald.
> Also wenn du auch Einfluss auf das Wetter hast, ich fände es schön, wenn mal wieder die Sonne scheint.
> Da muss ich Gott aber was für anbieten.
> Ach, ist das immer so ein Tauschgeschäft mit Gott?
> Ja, haha. Wenn ich etwas will, muss ich etwas bieten. So einfach geht das nicht.
> Ich mache mir Sorgen wegen Trump. Hast du den im Griff, Bernd?
> Ach der, da machst du dir Sorgen? Bei Donald? Das ist Donald, den kennst du doch auch noch von früher. Donald. Donald Duck. Kennst du doch auch noch, oder? Habe ich immer sehr gerne gelesen. Bei dem brauchst du dir nicht so viele Gedanken machen. Der macht nicht alles, was er sagt.
Ach siehst du, jetzt springt der Kühlschrank wieder an.
Das macht er immer, wenn ich die Wahrheit sage.
> Pandabären!
> Pandabären?
> Ja, Lisa. Der Bär ist mein Tier. Hier, warte. Ich zeig’s dir. Nicht, dass du denkst, dass ich mir das ausdenke.
Bernd blättert eine Weile in dem Collageblock, der vor ihm auf dem Tisch liegt. Seitenweise Listen. Sieht nach langen Einkaufslisten aus, nach Datum geordnet. Ganz hinten im Block ein Sammelsurium ausgeschnittener Todesanzeigen, Prospektseiten,
Supermarktangebote. Darunter auch eine Karte in Cellophan. Bernd reicht sie mir über den quadratischen Tisch. Es ist eine Namenskarte mit einem Bild von einem Braunbären. Ich kann nur einen kurzen Blick darauf werfen und lese „mit dem es Gott gut meint…“ und „stark wie ein Bär“. Mir ist diese Namensverwandtschaft nie zuvor in den Sinn gekommen.
> Siehst du?
Ich bin immer noch etwas überrumpelt.
> Ich heisse ja auch Bruno.
> Du heisst Bruno, Bernd? Mit zweitem Vornamen oder wie? Das wusste ich ja gar nicht!
> Ja siehst du, Lisa. Also wenn du in Berlin bist, geh doch bitte zu den Pandabären in den Berliner Zoo. Die sind etwas ganz Besonderes. Waren ein Geschenk an Angela Merkel. Mit Angela habe ich übrigens lange zusammengearbeitet.
> Ok. Aber was soll ich dann genau machen? Grüsse ausrichten von dir? Kannst du das nicht von hier aus telepathisch machen?
> Hahaha. Ja. Die spüren das dann schon. Tiere spüren das.
> Kannst du mir erklären, wie das geht mit der Telepathie?
> Na, das ist genauso wie mit den Radiowellen, UKW und so. Die siehst du ja auch nicht und sie sind überall.
> Kein Tag ist schön. Es ist immer sehr viel Arbeit. Und den Trump zum Beispiel. Den mochte ich ja am Anfang.
> Was?!
> Aber das mit Jerusalem, das war nicht gut. Es ist immer alles sehr viel, Lisa. Da ist es schon schön, dass ich zumindest gerne arbeite.
> Ja, wenn man seine Arbeit nicht gerne macht, kann man auch richtig dran kaputt gehen.
> Ja, haha, dran kaputt gehen. Das stimmt. Das ist dann so wie Burn Out. Du arbeitest aber auch gerne, oder Lisa?
> Ja, das tue ich.
Bernd guckt aus dem Fenster über den Lieferantenzugang des Altenheims zum Waldrand rüber.
> Einmal sind Rehe bis hier runter an den Zaun gekommen. Ich mag Tiere sehr.
> Ich mag Tiere auch sehr.
> Irene weiß das mit Angela. Von unserer Zusammenarbeit. Und auch mit der Telepathie. Sie hat mir hier – guck mal, das Kissen da auf dem Bett – das hat sie mir mitgebracht, weil ich sie über Telepathie darum gebeten habe.
> Kleine Kinder sind ja noch ganz süß. Aber wenn die dann größer werden… Hattest du das auch, Lisa? Dass du dann irgendwann immer Recht haben wolltest?
> Hahaha. Ja. Aber ich glaube das haben alle Kinder. Hattest du du das nicht?
> Nein.
Ich gehe die Rampe zum Gebäudekomplex runter, Hanglage. Souterrain ist mir immer etwas unangenehm. Die Eingangstür mit Klinke öffnet sich automatisch, als ich auf sie zugehe. Wie für Menschen ohne Arme. Links den Flur entlang. An den Zimmern stehen Namen wie im Krankenhaus. Stehen an Krankenhauszimmern überhaupt Namen?
Ich bin vor seiner Tür. Kein Mensch zu sehen. Leise höre ich von Innen seine Stimme und noch leiser eine Frau sprechen. Ich klopfe.
> Bernd?
Ich klopfe noch einmal, lauter. Er schliesst von Innen auf ohne die Tür zu öffnen. Ich mache langsam auf und gehe rein. Sehe ihn im Raum stehen barfuss. Das Radio läuft. Er wendet den Blick davon ab und guckt zu mir rüber.
> Ah, Lisa.
> Hallo Bernd.
> Komm rein. Ich weiss gar nicht ob du weisst, dass ich auch mit dem Radio sprechen kann?
> Oh echt? Nein, das wusste ich nicht. Ich dachte das geht nur mit dem Fernseher.
> Nein, nein.
Er macht das Radio aus.
Im Zimmer steht ein Bett, ein Nachttisch, ein Holztisch, zwei Stühle, ein Mini-Kühlschrank, ein Schränkchen mit einem Fernseher und ein Regal mit einem Radio.
Wir setzen uns an den Tisch und ich überreiche das Sauerkraut mit den Weisswürsten in der Tuppadose. Die Luft ist so frisch wie noch nie. Das Fenster muss den ganzen Morgen geöffnet gewesen sein.
> Ja, über das Radio habe ich Kontakt zu den Amerikanerinnen!
> Welchen Amerikanerinnen?
> Ja, nicht zu ALLEN Amerikanerinnen. Nur zu ein paar. Zu Sängerinnen, weisst du. Rihanna, Pink und so. Da sorge ich jetzt auch für ein Paar neue Stimmbänder, weisst du?
> Na für alle wär ja wahrscheinlich auch etwas schwierig, ne.
> Hahaha. Ja es gibt mehr als 300 Mio. Amerikaner und über die Hälfte sind Frauen.
> Ja, aus irgendeinem Grund gibt es immer etwas mehr Frauen als Männer.
Jedes Mal wenn ich Bernd besuche, sitzen wir einander gegenüber am Tisch und reden. Da er kein Telefon hat, machen wir im Voraus einen Tag aus, an dem ich komme. Trotzdem habe ich immer kurz davor das Gefühl, unangemeldet zu erscheinen.
> Es ist schwer für mich, Lisa. Weisst du, ich stehe zwischen Gott und Teufel.
> Wie ist das denn für dich? Musst du versuchen eine Art Gleichgewicht zu schaffen?
> Nein, nicht zwischen Gott und Teufel. Gleichgewicht muss ich versuchen in der Weltpolitik zu schaffen.
> Letztes Mal hast du gesagt, Angelas Zeit wäre langsam abgelaufen.
> Ja, ich habe jetzt zur SPD gewechselt. Ich muss mich um das Soziale kümmern. Es hat auch eine Sternenexplosion gegeben wegen mir.
Es wird zwei Planeten geben, Lisa. Das habe ich letztes Mal schon erzählt, oder? Einen nur für Frauen und einen nur für Männer.
> Ja, hast du. Das finde ich aber gar nicht so gut, Bernd.
> Ich kann 7 Frauen mitnehmen. Tante Maria, Tante Inge, die Ticktack Oma, Irene, Oma, eine Pflegerin aus Afrika, … Wenn du willst, kannst du eventuell auch noch mit.
> Ja wäre wahrscheinlich nicht schlecht mitzukommen.. also, aber entweder nur mit Frauen oder nur mit Männern? Ich weiss nicht was besser wäre.
> Ich sag dir, auf dem Frauenplaneten herrscht Chaos!
> Warum das denn??
> Sie sind egozentrisch, schizophren und lassen nichts Gutes am Gegenüber.
> Oh Gott. Meinst du wirklich alle Frauen sind so??
> Ja, alle Frauen sind schizophren.
> Du meinst ALLE Frauen sind schizophren? Das glaube ich nicht.
> Doch, Lisa. Ich kenne mich damit aus. Ich war auch mal schizophren. Das ist, wenn man nicht in der Gegenwart lebt. Du bist an einem Ort, aber mit deinen Gedanken bist du ganz woanders. Musst du schnell alt werden, Lisa. Dann lernst du die Welt kennen.
Bevor ich mich verabschiede erklärt mir Bernd genau was ich das nächste Mal einkaufen soll. Er überreicht mir eine Lebensmittelliste, die nicht sehr lang ist, aber fast alles soll ich gleich 5x oder 10x kaufen.
> Bei meinem Studium in Köln mache ich so ein Seminar zum Thema Realität.
> Ooooh! Ahh ja. In Köln da bauen sie gerade einen Hubschrauberlandeplatz.
> Was echt?
> Und die Oper wird auch nicht fertig. Ich habe übrigens Rückmeldung bekommen. Gerade als du bei Aldi warst. In der Innenstadt wird es schwierig. Du musst versuchen außerhalb eine Wohnung zu finden. Und dann mit der Bahn reinfahren. In diesen Stadtteilen (Bernd nennt blitzschnell 3 Stadtteile, die ich nicht kenne und mir nicht merken kann) hast du gute Chancen.
> Danke Bernd, das ist wirklich gut zu wissen. Ich hoffe ich finde bald was.
> Weisst du, Lisa. Ich lebe in der 5. Dimension. Jesus war in noch höheren Dimensionen.
> Ja?
> Ja klar. Was denkst du denn?
> Was sind das für Dimensionen?
> 5 Dimensionen. Ihr lebt alle nur in 3 Dimensionen. Die 4. ist die Zeit. Die 5. die Verbindung mit allem Lebenden und den Tieren.
> Seit wann ist das so bei dir, Bernd?
> Früher war ich heilig. Der heilige Bernhard.
> Ach, kann das wieder weggehen? Bist du jetzt nicht mehr heilig?
> 2012 da gab es einen Quantensprung auf der Erde. Das habt ihr alle gar nicht gemerkt, ne? Seitdem habe ich diese neuen Fähigkeiten. Davor hatte ich die nicht. Davor habe ich einfach nur versucht die ganze negative Energie mit den Beinen abzufangen. Stell dir das mal vor! Alles mit meinen Beinen. Die waren dann auch total geschwollen die ganze Zeit. Das ist jetzt zum Glück wieder besser. Jetzt mache ich die Arbeit mit dem Kopf. Damals habe ich noch so 300-400 Stunden im Monat gearbeitet. Jetzt mache ich nur noch 20 Stunden in der Woche. Jetzt ist nicht mehr alles Arbeit.
Wenn die Nachrichten kommen bei WDR2 zum Beispiel, das höre ich gerne, dann muss ich natürlich Stellung beziehen. Aber dann kommt wieder Musik, das ist meistens keine Arbeit.
Ich habe nicht nur eine Schwester, ich habe auch einen Bruder. Andreas Bourani.
> Kenne ich leider nicht. Ist das ein Schlagersänger?
> Hm.
> Singt der auf deutsch?
> Ja. Fast alle Lieder werden für mich gesungen.
> Sarah Connor zum Beispiel singt auch über mich. Und fürs Wetter bin ich auch zuständig. Für 8 Jahre insgesamt. 5 habe ich schon rum, also jetzt noch 3. Und die Lottozahlen kennen ich auch, wenn ich mich ganz doll konzentriere.
> Echt? Super! Seit wann das denn? Dann komme ich jetzt aber noch öfters vorbei, Bernd.
Wir lachen beide.
> Wir können eine Comedy Sendung zusammen machen, Bernd.
> Ja! Das kann ich gut. Ich mache sowieso immer Comedy wenn Werbung ist bei WDR2.
> Perfekt, dann hast du ja schon Übung.
> Humor hab ich, Lisa.
> Ja, ich weiß.
> Frauen sind gut im Kabarett. In Comedy nicht so sehr. Aber ich will unerkannt bleiben, Lisa. Keine Kamera. Ich verschwinde einfach irgendwann und dann weißt du ja was dann los ist. Wenn ich sterbe, geht die Welt unter. Also nicht das nächste Mal mit einem Filmteam vom WDR hier vor der Tür stehen, ne!
> Nein Bernd, keine Sorge. Wenn, dann komme ich alleine mit der Kamera.
> Aha! Hahaha.
> Hahaha.
> Und wenn ich Weltpolitik mache, dann mache ich das immer auf deutsch. Irgendwie funktioniert das immer.
> Praktisch.
> Ja, irgendeiner von den Erzengeln wird es ja wohl draufhaben in sämtliche Sprachen der Welt zu übersetzen, oder?
Ich habe allerdings auch Defizite, Lisa. Ich bin nicht lange zur Schule gegangen, weisst du. Mein Englisch ist sehr schlecht. Aber irgendwie verstehen die mich alle. Immer.
Zum Glück.