FOTODOKS – Festival für aktuelle Dokumentarfotografie München 2019

Katalogtext
Christina Maria Ruederer
(Kuratorin und Autorin, Berlin)

über die Fotoserie TWIN TOWERS
von Lisa Domin

Etwas als absurd wahrzunehmen, geht immer mit einer Irritation einher, die der eigenen Logik, Vernunft oder Gewohnheit widerspricht und daran rüttelt. Das Absurde bleibt aufrecht erhalten, solange wir uns nicht mit ihm einverstanden erklären. Auch tendieren wir dazu, immer wieder darauf zurückkommen, um uns neu zu vergewissern. Es fällt nicht leicht, sich damit abzufinden, wir hadern und manchmal zwingt das Absurde uns sogar eine andere Sichtweise einzunehmen. Die drei Fotografien der Serie „Twin Towers“ zeigen eine New Yorker Kunsthistorikerin mit ihrer Gastgeberin und deren Enkeltochter beim Abendessen in Valjevo, eine Kleinstadt in Serbien. Aufgrund der verbalen Sprachbarriere stellt sie mit Hilfe zweier Löffelbiskuits den Einsturz der Zwillingstürme nach. Das Unverständnis über die Schilderung entlädt sich in unsicheres Gelächter, das sicher auch der Unbeholfenheit und der Wahl des Hilfsmittels geschuldet ist – ein tragikomisches Moment. Die bildhafte Teilung des Tisches durch zwei versetzt übereinander platzierte Tischdecken, verdeutlicht einmal mehr die Diskrepanz, die sich aus dem voneinander abweichendem Wissenstand über die Terroranschläge am 11. September entwickelt. Die Unwissenheit der beiden gegenüber dem geschilderten Ereignis verträgt sich nicht mit unserer Erinnerung an die globale Bilderflut, die der Einsturz der Twin Towers zur Folge hatte; es erscheint abwegig; der 11. September hat durch die ungehemmte Repräsentation, die Übermacht der Bilder, wie es der Bildtheoretiker W.J.T. Mitchell fundiert erläutert und benannt hat, einmal mehr erfahrbar werden lassen und führte uns zudem die globale digitale Vernetzung vor Augen. In Endlosschleife schienen diese Bilder in kürzester Zeit die weltweiten Medien zu durchdringen und setzten nicht nur im medialen Diskurs eine Zäsur. Die oft gleichzeitige und konstante Vermittlung von Nachrichten ist Teil unserer Lebensweise geworden und es scheint unmöglich sich dieser zu entziehen. So ist es kaum verwunderlich, dass wir von dieser eurozentristischen Perspektive her betrachtet, der Situation unterstellen, absurd zu sein. Die Bilderflut, die wir mit dem 11. September erfahren haben, lässt uns schwer glauben, dass sie nicht alle erreicht hat. Erklärungen wie, dass die Enkelin deutlich zu jung sei, um von diesem Geschehen zu wissen oder, dass die Großmutter womöglich sehr abgelegen lebe und dadurch keinen Zugang zu Informationsmedien hat, stellen sich durch unsere Neigung allem einen Sinn zu entlocken schnell ein und bringen schließlich das Absurde zu Fall. Wir ordnen die Situation als eine Ausnahme ein und hinterfragen keineswegs die uneingeschränkte Wirkungsmacht dieser Bilder. So führt uns die schwarz-weiß Serie von Lisa Domin vor Augen, wie abhängig Beurteilungen von unseren eigenen Erfahrungen, Sichtweisen und Lebensgewohnheiten sind. Diese werden in ihrer gefestigten Form oft erst dort sichtbar, wo sie ihre Selbstverständlichkeit verlieren und in Frage gestellt werden.

To see something as absurd, always starts with an irritation that one’s own logic, rationality or habits are contradicted and become rattled. The absurdity remains as long as we don’t agree with it. Also, we tend to keep coming back to it to reassure ourselves. It isn’t easy to accept, we fight with it and sometimes the absurdity forces us to accept another point of view. The three photographs in the series „Twin Towers“ shows a New York art historian with her host and her host’s granddaughter at dinner in Vallejo, a town in Serbia. Because of the language barrier she depicts the destruction of the Twin Towers with the help of two ladyfingers. The incomprehension about the description erupts in insecure laughter, which is surely a result of the awkwardness and the choice of the props – a tragicomic moment. The picturesque division of the table by the two table clothes over each other, also makes clear the discrepancy which develops from the differing level of knowledge about the terror attack on September 11th. The lack of knowledge of the two persons about the events does not correlate with our memory of the global flood of images which resulted from the collapse of the Twin Towers. It seems absurd. Through the uninhibited representation and the power of the images of September 11th., as the Photo expert W.J.T. Mitchell explained, we experienced it again and also visualised the global digital networking. In an endless loop these images travelled through the world media in the shortest time and was a turning point not only in the world of the media. The simultaneous and often constant communication of news has become a part of our lifestyle and it seems impossible to escape this. So it is hardly surprising that, from the point of view of the central european perspective, we see the situation as absurd. The flood of images that we experienced with September 11th. makes it difficult to believe that they didn’t reach everyone. Explanations like the granddaughter was too young to know about it or that the grandmother lived so far away and had no access to media information, seems to follow our tendency to look for sense in everything and bring about the downfall of the absurd. We classify the situation as an exception and don’t question the unrestricted impact of these images. So the black and white series by Lisa Domin depicts how dependent opinion is on our own experience, perception and lifestyle habits. These are often only evident when they lose their obviousness and are questioned.